Durch die Etablierung des Grünen Punkts und des dualen Systems zur Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen wurde zu Beginn der 1990er Jahre ein höchst interdependentes System für das Kunststoffrecycling geschaffen.

Die umfassende Untersuchung des dualen Systems aus ökonomischer Perspektive setzt ein genaues Bild der Beziehungsgeflechte und Wirkungszusammenhänge im Gesamtsystem des Kunststoffrecyclings voraus. Denn Entwicklungen im Bereich der Technologie oder des Marktes finden hier – stärker noch als in anderen Wirtschaftszweigen – immer in Abhängigkeit der jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Markttrends statt. 

 

Als Grundlage der Studie erstellte das RWI daher auf Basis der Expertengespräche zunächst ein Gesamtmodell des Kunststoffrecyclings. Das Modell bildet die Interdependenzen der beteiligten Akteure und die Rolle der Märkte ab und zeigt den Einfluss verschiedener Determinanten wie beispielsweise der Technologie- und Marktentwicklung auf.

So kann nicht nur der Einfluss der dualen Systeme auf die Entwicklung des Kunststoffrecyclings seit 1990 eingeschätzt werden. Darüber hinaus wird der Blick auf die zu erwartende zukünftige Entwicklung erleichtert und es kann die Frage beantwortet werden, wie sich aktuelle Entwicklungen auswirken und unter welchen Bedingungen sich das Kunststoffrecycling am effektivsten weiterentwickeln kann. 

Entwicklungslinien des Kunststoffrecyclings

Wo steht Kunststoffrecycling in Deutschland heute und wohin deuten die jüngsten Ent­wicklungen? Um diese Frage zu beantworten, untersucht das RWI den konkreten ökono­mischen Nutzen des dualen Systems und schätzt anhand von vier Szenarien die künftige Entwicklung des Marktes für Kunststoffrezyklate ab.

Status Quo

In Deutschland hat sich ein funktionierender Markt für Sekundärrohstoffe etabliert – dazu hat das duale System maßgeblich beigetragen.

 

Nach einer ersten Anlaufphase nach der Einführung des dualen Systems im Jahr 1990 hat sich in Deutschland insbesondere nach 2000 ein funktionierender Markt für Produkte aus Post-Consumer-Abfällen entwickelt. Zentrale Einflussfaktoren dieser Entwicklung waren der technische Fortschritt bei der Sortierung, insbesondere die Einführung der automatischen Trennung, die zu einer erheblichen Effizienzverbesserung und einer höheren Sortenreinheit führte. Darüber hinaus entstanden durch die vom Gesetzgeber vorgegebenen Quoten für die stoffliche Verwertung, die Öffnung des dualen Systems für den Wettbewerb ab dem Jahr 2003 und die kontinuierlich gestiegene Akzeptanz von Recyclingprodukten durch Unternehmen und Verbraucher wichtige Impulse. 

 

Durch die technologischen Entwicklungen konnte die Qualität der Post-Consumer-Rezyklate gesteigert und die preisliche Lücke zu Sekundärkunststoffen aus dem Post-Industrial-Bereich zunehmend geschlossen werden. Auch gegenüber Primärkunststoffen konnte der Preisabschlag für Rezyklate aus dem Post-Consumer-Bereich durch höhere Qualität, bessere Vertriebswege und höhere Mengenverfügbarkeit verringert werden. Der Markt für Recyclingprodukte aus Post-Consumer-Leichtverpackungen (Kunststoff, Aluminium, Weißblech) hat heute ein geschätztes Volumen von circa 315 Millionen Euro. 

 

Der ökonomische Nutzen des dualen Systems übersteigt dessen Kosten heute deutlich.

Um den ökonomischen Nutzen des dualen Systems zu beziffern, identifiziert das RWI relevante Nutzen- und Kostenfaktoren. Dabei liegt der Fokus auf dem Recycling von Post-Consumer-LVP. Als Grundannahme der Berechnung fungiert die These, dass die in der Gelben Tonne bzw. im Gelben Sack gesammelten LVP ohne die Einführung des dualen Systems im Restmüll verblieben wären.

Ökonomischer Nutzen des dualen Systems

Im Jahr 2014 betrug der ökonomische Nutzen des dualen Systems rund 185 Millionen Euro. Dieser Nutzen setzt sich folgendermaßen zusammen:

 

Kostensenkungen bei der Restmüllentsorgung 

Durch die Einführung des dualen Systems ist die Restmüllmenge um circa 16 Prozent gesunken – dadurch sind die Kosten der Restmüllentsorgung um circa 550 Millionen Euro zurückgegangen.

 

Markt für Regranulate aus Leichtverpackungen

Durch das duale System und die von ihm in Umlauf gebrachten Kunststoff-Regranulate aus LVP sind Aluminium, Weißblech und Primärmaterialien eingespart worden. Der ökonomische Nutzen durch Einsparungen, die sich aus der Preisdifferenz zwischen Primär- und Sekundärrohstoffen ergeben, beträgt circa 180 Millionen Euro. Das duale System leistet darüber hinaus einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, da die Abhängigkeit von Primärmaterialien verringert wird, die häufig importiert werden müssen.

 

Einsparung von CO2 ­Äquivalenten

Durch das duale System werden pro Jahr insgesamt 2,72 Millionen Tonnen CO2­ Äquivalente eingespart – das entspricht der Menge an Treibhausgasen, die knapp 750.000 Pkw der Kompaktklasse in einem Jahr ausstoßen. Die eingesparte CO2-Menge wird mit dem Durchschnitt der EEG-Vermeidungskosten von etwa 85 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent verrechnet, um den ökonomischen Nutzen von rund 230 Millionen Euro zu ermitteln. Die CO2-Vermeidungskosten des dualen Systems liegen mit 17 Euro pro Tonne eingespartem CO2 besonders niedrig. Andere Studien* haben beispielsweise die CO2-Vermeidungskosten pro Tonne durch den Ausbau der regenerativen Energiequellen im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit 85 Euro beziffert. Das Umweltbundesamt hat 2014 in einer Vergleichsstudie durchschnittliche Kosten von 77 Euro pro Tonne eingespartem CO2 ermittelt.

 

Energetische Verwertung als Ersatzbrennstoff

Ersatzbrennstoffe (EBS) ersetzen zum Beispiel in Zementwerken fossile Energieträger. Der ökonomische Nutzen besteht einerseits in der Einsparung von CO2 sowie in geringeren Zuzahlungen an die EBS-Aufbereiter im Vergleich etwa zur Müllverbrennung. Dieser ökonomische Nutzen durch die Einsparung von CO2-Äquivalenten und die geringeren Zuzahlungen für die EBS-Aufbereiter werden aber bereits in den anderen Nutzenfaktoren berücksichtigt. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle kein expliziter Zusatznutzen ausgewiesen.

 

Arbeitsplätze

In der neu entstandenen Recyclingbranche sind circa 10.000 Arbeitsplätze entstanden. Die dadurch eingesparte Beschäftigung in der Primärproduktion betrifft überwiegend das Ausland. Dieser Faktor wird nicht in einen konkreten Nutzenwert umgerechnet.

 

System­- und Transaktionskosten

Die Systemkosten für die Sammlung, Sortierung und Aufbereitung sowie für die stoffliche und energetische Verwertung der LVP ergeben sich aus den Lizenzkosten sowie den Transaktionskosten bei den Inverkehrbringern von Verkaufsverpackungen und liegen bei 750 Millionen Euro (Systemkosten) und 25 Millionen Euro (Transaktionskosten).

Der Gesamtnutzen des dualen Systems im LVP-Bereich liegt bei circa 960 Millionen Euro, die Systemkosten bei circa 775 Millionen Euro. Derzeit übersteigt demnach der Nutzen des dualen Systems die damit einhergehenden Kosten um circa 185 Millionen Euro. Während der ökonomische Nutzen des Systems im Zeitablauf stetig zunahm, verringerten sich aufgrund des technischen Fortschritts und der Einführung des Wettbewerbs die Systemkosten zunehmend. Es kam somit im Zeitverlauf zu Effizienzsteigerungen und in deren Folge zu einem günstigeren Nutzen-Kosten-Verhältnis. 

 

*Franke, M., K. Reh und P. Hense (2014): „Ökoeffizienz in der Kunststoffverwertung“.

Zwar entsteht ein Markt für Premium­-Rezyklate – erhebliche Potenziale bleiben aber noch ungenutzt

 

Günstige Marktbedingungen für Rezyklate sind durch die stetig wachsende Akzeptanz von Produkten und Verpackungen aus Sekundärrohstoffen sowie die kontinuierlich steigende Qualität der Rezyklate absehbar. Leuchtturmprojekte – häufig auf explizite Initiative privat-wirtschaftlicher Akteure – zeigen, dass ein Markt für Premium-Rezyklate entstehen kann. Diese Projekte spielen als Türöffner eine wichtige Rolle. 

 

Gleichwohl bestehen teilweise noch erhebliche Optimierungsmöglichkeiten. Denn die gegenwärtigen Rahmenbedingungen für das Kunststoffrecycling verhindern, dass existierende Potenziale genutzt werden oder genutzt werden können. Fehlanreize führen beispielsweise zu einer verringerten Recyclingfähigkeit von Verpackungen sowie geringerer Qualität des Inputmaterials für das Recycling. Insbesondere die geltenden Recyclingquoten sind nicht hoch genug, um einen Anreiz für die Ausschöpfung vorhandener technologischer Potenziale zugeben.

Seit Jahren besteht zudem aufgrund der andauernden politischen Diskussionen um die zukünftigen regulatorischen Rahmenbedingungen Unsicherheit – und in der Folge ein regelrechter Investitionsstau bei Recyclinganlagen. Diese Investitionen wären aber notwendig, um die vorhandenen Potenziale des dualen Systems vollständig zu nutzen und neue Märkte nachhaltig zu erschließen. Dabei sind relevante Technologien für die Verbesserung der Sortierung und des Recyclings von Post-Consumer-LVP bereits vorhanden und weitestgehend ausgereift.